Unser Autor Stephan kocht fast wie Profi – mit Leidenschaft und Hingabe. Doch wenn es ums Aufräumen und Ordnung halten geht, ist er ein Amateur. Seine Frau beobachtet ihn mt stoischer Geduld. Noch.
Ich koche gerne. Wirklich. Es ist mir eine Freude, die Zutaten wie kleine Soldaten auf der Arbeitsplatte aufzustellen. Die Paprika in Reih und Glied, das Basilikum wie ein Feldmarschall in einer Tasse Wasser, das Messer, scharf wie ein Schwert. Doch sobald ich die erste Zwiebel zerteile, beginnt das Chaos. Schalen türmen sich neben den Schneidebrettern, das Olivenöl ergießt sich über die Arbeitsplatte wie eine kleine Umweltkatastrophe, und irgendwo kippt eine Packung Salz um. Kein Problem, sage ich mir, während ich die Knoblauchzehen presse und dabei einen Teller beiseite schiebe, der noch vom Frühstück übrig geblieben ist. Das Ergebnis, so tröste ich mich, wird grandios sein: ein Risotto, cremig und duftend, ein Gedicht. Aber die Küche? Ein Schlachtfeld.
Innerer Widerstand gegen Ordnung
Das ist das Paradoxe: Ich bin, so würde ich behaupten, ein wirklich guter Koch. Ich habe ein Händchen für Aromen, ein Talent für die richtige Konsistenz, und meine Freunde haben nie gezögert, das zu bestätigen. Aber ich bin ein absolut unfähiger Küchenorganisator. Wenn ich koche, herrscht nachher eine Verwüstung, die an mittelalterliche Plünderungen erinnert. Töpfe, Schüsseln, Löffel – alles, was ich jemals in den Händen hatte, liegt irgendwo verstreut, bedeckt von einer feinen Schicht aus Mehl, Krümeln und einem Hauch von Tomatensoße. Es ist, als hätte ich einen inneren Widerstand gegen die Idee, Ordnung in dieser Genusswelt zu schaffen.
Freunde kommen nicht mehr
Neulich wollte ich Freunde zum Essen einladen, habe dann aber im letzten Moment abgesagt. Nicht, weil ich keine Lust zum Kochen hatte, sondern weil ich mir ausmalte, wie sie, noch mit dem Dessertlöffel in der Hand, höflich anmerken würden: „Soll ich dir vielleicht helfen aufzuräumen?“ Diese Vorstellung war unerträglich. Wie konnte ich ihnen erklären, dass ich es einfach nicht schaffe, während des Kochens auch nur eine einzige Schüssel abzuspülen? Dass ich die Küche als Genuss-Tempel liebe, als Ort, an dem Aromen und Ideen verschmelzen, sie aber gleichzeitig als Alltagsraum verachte, in dem man putzen, sortieren und funktionieren muss? Es ist, als gäbe es zwei Versionen von mir: den Künstler am Herd und den Aufräum-Verweigerer, der hinterher wie ein Kind vor einem zerbrochenen Spielzeug sitzt und darauf wartet, dass jemand anderes es wieder zusammensetzt.
Dieses Lächeln, das alles sagt
Meine Frau, geduldig und klug, hat mich eines Tages in meiner Misere beobachtet, als ich verzweifelt versuchte, einen Topf zu finden, den ich vor zwei Minuten selbst benutzt hatte. Sie sagte nichts, schüttelte nur den Kopf, während ich die Situation mit dem Argument entschuldigte, dass „wahre Kreativität eben unordentlich ist“. Sie lächelte – dieses Lächeln, das alles sagt, ohne ein einziges Wort. In diesem Moment wurde mir etwas klar: Ich liebe das Kochen nicht trotz, sondern wegen des Chaos. Das kreative Chaos ist für mich wie eine Signatur, der Beweis, dass ich in diesem Raum gelebt und gearbeitet habe. Es ist nur dumm, dass ich diese Signatur immer anderen hinterlasse.
Seitdem versuche ich, Frieden zu schließen mit der Küche, diesem widersprüchlichen Raum. Ich koche, und ja, ich räume danach auf – nicht immer gut, nicht immer vollständig, aber immerhin ein bisschen besser. Und ich habe gelernt, dass es okay ist, Freunde einzuladen und sie hinterher lachen zu lassen über die „kulinarische Spur der Verwüstung“, die ich hinterlasse. Vielleicht, so denke ich mir, ist die Küche nicht nur ein Tempel, sondern auch eine Bühne. Und eine Bühne, das wissen wir alle, sieht nach einem gelungenen Auftritt eben nie perfekt aus.
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